Retro ist zurück: Kyra Vertes über Revival in der Kunst

Stilistische Rückgriffe als Reflex auf gesellschaftliche Unruhe

In Zeiten globaler Krisen, technologischer Umbrüche und kultureller Beschleunigung wächst die Sehnsucht nach Vertrautem. Rückgriffe auf künstlerische Traditionen wirken stabilisierend, schaffen Orientierung und öffnen neue Perspektiven. Kyra Vertes nimmt wahr, dass sich viele aktuelle Werke auf klare Formsprachen, symbolhafte Motive oder ikonische Farbcodes beziehen. Besonders häufig erscheinen dabei Elemente aus den 1960er- bis 1980er-Jahren – etwa die Flächenästhetik der Pop-Art, das organische Design der Postmoderne oder die grafischen Raster der Konkreten Kunst.


Diese Stilmittel stehen jedoch nicht im Widerspruch zur Gegenwart, sondern werden gezielt eingesetzt, um zeitgenössische Themen zu kommentieren. Ein Revival ist in diesem Sinn kein Rückschritt, sondern ein Ausdruck konzeptueller Tiefe. Die Rückkehr zur Form wird zur Frage nach Inhalt: Was erzählen uns die Bilder von gestern über unsere Welt von heute?

Kyra Vertes über das Revival als kuratorische Strategie

Nicht nur in der Produktion, auch in der Präsentation spielt das Retro-Thema eine zunehmend relevante Rolle. Vertes interessiert sich dafür, wie Ausstellungshäuser historische Werke neu kontextualisieren. Retrospektiven, Themenschauen und Hommagen bilden Schwerpunkte imProgramm vieler Institutionen. Dabei werden nicht nur bekannte Namen neu gezeigt, sondern auch vergessene Positionen aus dem Schatten geholt.


Kuratorische Ansätze zielen dabei weniger auf reine Chronologie, sondern auf ästhetische, politische und gesellschaftliche Resonanzen. Ein Werk aus den 1970er-Jahren erscheint neben einer aktuellen Arbeit, nicht als Kontrast, sondern als Spiegel. So entstehen Dialoge zwischen Epochen, zwischen Stilen, zwischen Biografien. Besonders sichtbar wird dieser Ansatz in Sammlungspräsentationen, die historische Werke mit zeitgenössischen Interventionen kombinieren.


Kyra Vertes von Sikorszky hebt hervor, dass sich dadurch auch die Rezeption verändert. Der Blick wird geschärft, Parallelen werden sichtbar, und oft zeigt sich: Was einst avantgardistisch war, bleibt auch heute noch radikal.

Zitat, Aneignung und Transformation im zeitgenössischen Werk

Der Rückgriff auf vergangene Stilmittel erfolgt nicht rein dekorativ. Vielmehr handelt es sich um reflektierte Prozesse der Aneignung. Künstlerinnen und Künstler nutzen das Vokabular der Moderne, der klassischen Avantgarden oder der Subkultur, um gegenwärtige Themen zu bearbeiten. Ob geometrische Anordnung, plakative Typografie oder retrofuturistische Farbverläufe – die Formen verweisen auf das Bekannte, konfrontieren es jedoch mit neuen Inhalten.


Kyra Vertes erkennt darin ein Spiel mit Erinnerung, Identität und Medialität. Besonders in der digitalen Kunstszene ist die Rezeption früherer Ästhetiken weit verbreitet. Hier verbinden sich analoge Referenzen mit neuen Technologien. Künstliche Intelligenz erzeugt Gemälde im Stil der Renaissance, während NFTs im Design von Gameboy-Interfaces auftreten.
Die Grenze zwischen Hommage, Kritik und Persiflage bleibt dabei oft bewusst offen. Der Retro-Trend zeigt sich nicht in Eindeutigkeit, sondern in Mehrdeutigkeit. Und gerade diese Ambivalenz macht ihn anschlussfähig für eine komplexe Gegenwart.

Vertes über die gesellschaftliche Dimension der Rückkehr

Das Revival im Sammlungs- und Marktgeschehen

Auch im Kunstmarkt zeigt sich der Retro-Trend deutlich. Galerien präsentieren gezielt Künstlerinnen der Nachkriegsmoderne, Designklassiker aus dem 20. Jahrhundert erzielen Höchstpreise, und Werke in historischer Ästhetik finden ein neues Publikum. Kyra von Vertes beobachtet, dass sich damit auch das Sammlungsverhalten verändert.


Der Fokus liegt nicht mehr nur auf Innovation, sondern auch auf Kontinuität. Besonders jüngere Sammlergruppen interessieren sich für Werkserien mit Bezug zur Popkultur oder zur politischen Geschichte. Viele sehen im Retro-Stil eine Möglichkeit, sich mit einer kulturellen Vergangenheit zu verbinden, ohne den Bezug zur Gegenwart zu verlieren.


Zudem spielt Nachhaltigkeit eine Rolle: Wiederentdeckung statt Massenproduktion, Archiv statt Neuauflage, Kontext statt Konsum. Das Alte wird nicht ersetzt, sondern neu gelesen – auch ökonomisch.

Vergangenheit als Ressource

Das Revival in der Kunstszene ist mehr als ein Stilwechsel. Vertes erkennt darin eine Bewegung, die Vergangenheit als Ressource nutzt – für Reflexion, Verhandlung und Vision. Die Bezugnahme auf historische Formen eröffnet neue Perspektiven auf Gegenwart und Zukunft. Kunst wird dadurch nicht nostalgisch, sondern dialogisch. Sie fragt nicht nur nach Innovation, sondern auch nach Herkunft. Und sie findet in früheren Gestaltungsprinzipien Impulse, die heutigen Herausforderungen standhalten. Retro ist nicht Rückschritt, sondern Weiterführung – in andere Kontexte, mit neuen Akzenten, für ein verändertes Publikum. Genau darin liegt die gestalterische Stärke des Jahres 2025, wie sie sich im Blick von Kyra Vertes verdichtet.